1. März 2022
Für unser internationales Forschungsprojekt "JoIn-DemoS" haben wir die bedeutendsten Innovationen in Österreichs Journalismus identifiziert. Nun werden diese in Fallstudien genauer untersucht.
Die Identifizierung der 20 wichtigsten Innovationen im österreichischen Journalismus für den Zeitraum 2010 bis 2020 wurde im Februar 2022 abgeschlossen. Das Forschungsteam von Medienhaus Wien und dem CMC-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften/Universität Klagenfurt haben, auf Basis von Expert:innen-Interviews, 36 Innovationsbereiche sowohl auf den Ebenen Inhalt/Produkt als auch bei Organisation, Ökonomie und Vertrieb festgestellt. Aus diesen wurden 20 Innovationsbereiche als besonders relevant ausgewählt, siehe Liste im Anschluss an die Methodologie.
Methodologie
Um die Frage nach den wichtigsten Innovationen im Journalismus in der vergangenen Dekade in den fünf am Projekt beteiligten Ländern zu beantworten, wurden in jedem Land im Zeitraum von Dezember 2020 bis April 2021 Leitfaden-Interviews mit jeweils 20 Expert:innen (in Österreich 21) durchgeführt. Zu diesen Fachleuten gehörten Kommunikationswissenschafter:innen, Praktiker:innen und Vertreter:innen aus dem Journalismus verbundenen Bereichen wie journalistische Vereinigungen oder Weiterbildungseinrichtungen.In den Interviews nannten die Expert:innen die aus ihrer Sicht wichtigsten und einflussreichsten Innovationen im österreichischen Journalismus und begründeten ihre Auswahl. Außerdem wurden sie auch gebeten, Beispiele gescheiterter Innovationen und besonders innovativer Medienunternehmen anzuführen.
Die Nennungen erfolgreicher Innovationen wurden anschließend auf Basis der Begründung der Expert:innen in Innovationsbereiche zusammengefasst. Beispiel: Wurden von mehreren Expert:innen verschiedene junge Medien genannt, was mit dem jeweils experimentellen/neuartigen Charakter dieser Organisationen begründet wurde, wurden sie zur Kategorie New media formats/Journalistic Start-ups zusammengefasst. Wurden möglicherweise dieselben Medien speziell unter dem Aspekt ihrer Finanzierungsmodelle erwähnt, wurden sie entsprechend der Kategorie Paywall & Paid Content oder Crowdfunding & Donations zugeordnet. Auf diese Weise wurden länderübergreifend aus über 1000 Einzelnennungen 50 Innovationsbereiche entwickelt.
Aus den Interviews mit den 21 österreichischen Expert:innen konnten 202 Nennungen von Innovationen identifiziert werden, die 36 Innovationsbereichen (der insgesamt 50) zugeordnet werden konnten. Aus diesen wurden in Fokusgruppen nach einem Punktesystem, das die Auswirkung der jeweiligen Innovation auf die Branche und den gesellschaftlichen Anspruch im Sinne des demokratiepolitischen Auftrags des Journalismus bewertete, die 20 wesentlichsten Bereiche ausgewählt.
Übersicht der erfolgreichsten Innovationen im Journalismus in Österreich
Es handelt sich bei der nachstehenden Liste um die wesentlichsten Innovationsbereiche, aber nicht um ein Ranking von 1 bis 20, da die einzelnen Kategorien sehr unterschiedlich und damit schwer miteinander vergleichbar sind, aber eng miteinander verbunden sind, wie wir unten beispielhaft illustrieren werden.- Collaborative journalism/Investigative journalism
- Mobile media services and mobile/Live journalism
- Data journalism
- Paywall and paid content
- Diversity and inclusion
- Audio/Podcast
- New media formats/Journalistic start-ups
- Tools to improve discourse quality
- Personal/Digital meetings
- New organizational forms and teams
- Automation
- News on Social Media
- Citizen participation
- Newsletter
- News only TV channel
- Engagement on the base of data
- Media Labs/In-house incubators
- Video/Moving image by print media
- Entrepreneurial journalism/Personal brand
- Donations & Crowdfunding
Die Relevanz der verschiedenen Innovationsbereiche schien in vielen Fällen von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre klar herleitbar wie etwa die oft gemeinsam genannten Beispiele Recherche-Kooperationen und Investigativ-Journalismus. Die entsprechende Kategorie Kollaborativer/investigativer Journalismus gehört in allen teilnehmenden Ländern zu den wesentlichen Innovationsbereichen. International wurde dafür vor allem auf die Recherchen zu den Panama Papers hingewiesen, in Österreich nannten die Expert:innen außerdem vor allem Medien übergreifende Recherchen in Zusammenhang mit dem Ibiza-Video. Auch in diesem Zusammenhang wurde häufig auf Datenjournalismus verwiesen, der es erst möglich mache, so große Mengen an Material auszuwerten. Mobile/Live journalism, insbesondere Live-Ticker, die Nachrichten in Echtzeit liefern, wurden als weitere besonders relevante Veränderung im Journalismus seit den Flüchtlingsbewegungen 2015 von den Expert:innen erkannt.
Die einzelnen Innovationsbereiche können nicht streng getrennt voneinander betrachtet werden, sondern stehen in vielerlei Beziehung. So erlauben etwa technische Tools, die Aktivitäten auf Foren und Social Media zu beobachten. Auf Basis dieser Daten können journalistische Angebote zielgruppenspezifisch angepasst und optimiert werden. Damit wirkt sich der, in allen teilnehmenden Ländern relevante, Innovationsbereich Engagement on the basis of data ganz konkret auf das Produkt aus. Solch spezifische Angebote wiederum sind ein wichtiges Argument, um Paywalls and paid content für das Publikum attraktiv zu machen und die Zahlungsbereitschaft zu erhöhen.
Die Interaktion mit dem Publikum ist ein wesentlicher Faktor in verschiedenen Innovationsbereichen, das reicht vom oben erwähnten technisch basiertem Foren-Management auf Databasis und spezifischen Tools, die den Diskurs verbessern sollen, etwa indem sie Hate speech in Foren als solche erkennen und verbannen oder konstruktive Beiträge prominenter platzieren, bis zur Citizen partizipation, der Einbindung des Publikums etwa als Leserreporter:innen, oder die Vernetzung von Menschen bei personal and digital meetings zum gemeinsamen Diskurs.
Ausblick
Diese Übersicht von Innovationen ist Ausgangspunkt für den zweiten Abschnitt unseres Forschungsprojekts, der derzeit durchgeführt wird. Ziel ist es nun, die 20 bedeutendsten Innovationsbereiche in Fallstudien tiefergehend zu untersuchen. Für jeden dieser 20 Innovationsbereiche wurde von den Forscher:innen-Teams des jeweiligen Landes ein Medienunternehmen ausgewählt, das den Innovationsbereich in diesem Land in besonderem Maße geprägt oder besonders erfolgreich umgesetzt hat. Dabei legen wir auch Wert auf Diversität der Fallstudien, das heißt, es werden Innovationen in großen und kleinen, traditionellen und neuen Medien untersucht. Wie schon in der ersten Teilstudie, basiert die Folgestudie methodisch auf Leitfaden-Interviews.Über die Ergebnisse, die zeigen sollen, welche inhaltlichen, ökonomischen und organisatorischen Aspekte bei der Entwicklung erfolgreicher Innovationen besonders wichtig sind, und unsere Publikationen zum Thema werden wir Sie auf dieser Website auf dem Laufenden halten.
Für weitere, allgemeine Informationen zum Projekt siehe https://innovations-in-journalism.com/. Haben Sie allgemeine Fragen zum JoIn-DemoS-Forschungsprojekt? Dann schreiben Sie uns bitte eine E-Mail an andy.kaltenbrunner(at)mhw.at oder renee.lugschitz(at)mhw.at.
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